Rote Schablone eines Venussymbols mit Faust auf einer weißen Wand

Diskriminierung von Frauen in der IT: Zahlen & Fakten

Prof. Dr. Andrea Herrmann ist Professorin für Software Engineering und Data Science an der AKAD University. Auf der diesjährigen informatica feminale, einer Sommerhochschule für Studentinnen und interessierte Frauen des Fachgebiets Informatik und verwandter Fachrichtungen, hielt sie einen Vortrag zum Thema Frauendiskriminierung in der IT-Branche, in dem sie nicht nur über eigene Erfahrungen dazu sprach, sondern dieses Thema ebenso faktisch beleuchtete und anhand wissenschaftlicher Studien aufarbeitete. Da wir uns nun in einer Zeit befinden, in der der Appell nach mehr MINT-Frauen immer stärker wird, möchten wir an dieser Stelle auf ein paar dieser Fakten genauer eingehen und die Ursachen für den jahrzehntelang anhaltenden Fachkräftemangel untersuchen.

Grafik der European Commission arbeiten in der IT

Die Zahlen in der IT-Branche

Der Frauenanteil in der IT-Branche ist bekanntlich deutlich geringer als der von Männern. Laut dem dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2021 liegt die Frauenquote im Informatikstudium bei gerade einmal 25%, in der IKT-Branche sind es sogar nur noch 16%. Wie es dazu kommt, beschreibt die Europäische Kommission in einem Bericht aus dem Jahr 2013. Während in der Schule das Interesse für IT bei Jungs und Mädchen noch gleich hoch ist, folgt im Studium die bereits erwähnte Halbierung auf 25% Frauenanteil. Im Arbeitsleben geht es weiter abwärts. Nur noch 20% der unter Dreißigjährigen arbeitet in der IT, zwischen 31 und 45 sinkt ihr Anteil weiter auf 15,4% und liegt bei Frauen über 45 im schmalen Bereich von nur noch 9%.

Sichtweisen aus vergangenen Zeiten

Wie erklärt sich dieser Abstieg? Zu einfach wäre die Behauptung, dass das Fraueninteresse für IT mit steigendem Alter schlichtweg nachlässt, während es bei Männern beständig bleibt. Es muss andere Beweggründe geben, die Frauen davon abhalten oder gar abschrecken, sich dauerhaft für technikintensive Bereiche zu begeistern. Hierfür lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit und in die gesellschaftliche Wahrnehmung der Frauen für IT-Kompetenzen. Zurückblickend lässt sich nicht bestreiten, dass in den letzten Jahrzenten der Großteil der Gesellschaft Frauen für nicht technikaffin genug gehalten hat. So beschrieb die Soziologin Sabine Collmer in Ihrem Buch aus dem Jahr 1997 „Frauen und Männer am Computer“ nach empirischer Auseinandersetzung mit diesem Thema, dass Männer in Bezug auf Technik als kompetent gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist, wobei umgekehrt Frauen als nicht kompetent gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Im gleichen Jahr veröffentlichten die Wissenschaftlerinnen Christine Wenneras und Agnes Wold in der naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature“ eine Untersuchung, in der sie feststellten, dass für die Einstellung in eine IT-Position bei Männern 80–90% Passung zum Stellenprofil genügen, während Frauen 100% Passung mitbringen müssen, um das Rennen zu machen. Die Kompetenz von Frauen wurde also geringer geschätzt als die von Männern. Auch mussten laut Erkenntnissen von Wenneras und Wold Frauen zweieinhalb Mal so produktiv sein, um als gleich kompetent wie ein Mann angesehen zu werden. Die Wahrnehmung von Leistung hing somit stark vom Geschlecht der bewerteten Person ab.

Der Pygmalion-Effekt: Man ist so gut, wie einem zugetraut wird

Diesen Erkenntnissen zufolge wurden Frauen von außen betrachtet weder für IT-kompetent noch für produktiv genug gehalten wie Männer – eine Haltung, die durchaus dazu führen kann, dass Menschen ihr Interesse für einen Bereich verlieren oder sogar ihre Fähigkeiten hierfür in Frage stellen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Pygmalion-Effekt, ein Experiment der US-amerikanischen Psychologen Robert Rosenthal und Lenore F. Jacobson aus dem Jahr 1968, in dem zufällig ausgewählte Schüler:innen, die gegenüber Lehrenden als „begabt“ klassifiziert wurden, nach einem Jahr bessere Noten und einen höheren IQ hatten, obwohl alle Kinder vom selben Level aus starteten. Mangels Ermutigung und Zutrauen resultierte bei den „nicht begabten“ Schüler:innen daraus eine niedrigere Selbsterwartung. Diese wiederum führte zu geringeren Leistungen, weil der eigene sowie der äußere Erwartungshorizont von Vornherein kleiner gesteckt wurde.

Könnte das eine Antwort auf das mit dem Alter sinkende Interesse von Frauen in der IT-Branche liefern? Möglich wäre es, schließlich hinterlassen Verhaltensweisen und das Vorleben von Mustern und Einstellungen in der Erziehung und Bildung junger Menschen ihre Spuren gewöhnlicherweise langfristig und über Generationen hinweg.

Studie Anerkennung der Kritik von Frauen

Kritikausübung Frauen/Männer

Doch wie steht es um die Frauen, die es trotz dieser Hindernisse schaffen, in eine attraktive Position innerhalb der IT-Branche zu gelangen? Leider werden auch hier weiblichen Führungskräften in der Ausführung ihrer Tätigkeit oft schwere Stolpersteine in den Weg gelegt, etwa an einem Beispiel innerhalb der Mitarbeiterführung. Wie aus einem Paper des Harvard-Doktoranden Martin Abel hervorgeht, ist die Akzeptanz von Kritikausübung stark von dem Geschlecht abhängig, das diese ausführt. Kritisiert eine weibliche Führungskraft berechtigt die Arbeit eines männlichen Mitarbeiters, empfindet dieser diese um 70% demotivierender und fataler für die eigene Arbeitszufriedenheit, als wenn dieselbe Kritik von einem männlichen Vorgesetzten gekommen wäre. Verstärkt wird dieses Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern mit der Tatsache, dass selbst unberechtigte Kritik eines männlichen Vorgesetzten nicht als so schlimm empfunden wird wie die berechtigte einer weiblichen Führungskraft.

Wird eine derartige Diskriminierung von Frauen bewusst oder unbewusst ausgeübt? Beides ist sicherlich der Fall. Wer in einem Umfeld mit sehr traditionellen Rollenverteilungen aufwächst und lebt, eignet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit gewisse Einstellungen an, die völlig unbemerkt verankert und weitergelebt werden, bis bestenfalls durch Erlebnisse oder Einsichten ein Sinneswandel stattfindet. Doch auch bewusste Diskriminierung wird heute noch aktiv gelebt. Frau Prof. Dr. Herrmann bringt in diesem Zusammenhang den Begriff des Maskulinismus in die Diskussion ein. Dieser meint die Gegenbewegung zum Feminismus und beschreibt eine Haltung, die auf der angeblichen Überlegenheit des Mannes aufbaut und gegen eine vermeintliche Benachteiligung des Mannes durch Gleichberechtigung kämpft.

Den Ausweg im Blick behalten

Andrea Herrmann hat in ihrem bisherigen Berufsweg beides erlebt – bewusste und unbewusste Frauendiskriminierung. Doch trotzdem hat sie es geschafft, hohe Ziele zu erreichen und eine beeindruckende Laufbahn abzulegen. Ihr Antrieb dafür war und ist das Interesse und die Leidenschaft für das, was sie tut. Ihr Gegenmittel für Diskriminierung ist unerschütterliches Vertrauen in die eigene Kompetenz und den Mut, konsequent für die eigenen Interessen einzustehen. Denn wo kluge Köpfe zusammenarbeiten, statt sich zu bekriegen, entsteht immer etwas Besseres als das Verharren in angeblichen Geschlechterrollen und -eigenschaften. Deswegen lautet der Wunsch der IT-Expertin angesichts des allseits beklagten Fachkräftemangels und des unstillbaren Hungers der Digitalen Transformation nach gut ausgebildeten IT-Spezialist:innen: „Wollen und können wir uns diese subtilen bis offenen Diskriminierungen von Frauen in der IT weiter leisten?“ Andrea Herrmann schließt: „Die Zukunft hängt von uns ab!“

Über die Autor:innen

Prof. Dr. habil. Andrea Herrmann

Ehemalige Professorin für Software Engineering, Studiengangsleitung Software Engineering und Data Science

Sie verfügt über umfangreiche Expertise auf den Gebieten des Requirements Engineering, Software Engineering, Projektmanagements, Risikomanagements, Innovationsmanagements, Künstlicher Intelligenz und Maschinenethik. Ihr akademischer Werdegang umfasst ein breites Spektrum von Studien in Physik bis zur Habilitation in Informatik an der Universität Heidelberg. Sie hat in verschiedenen Positionen an renommierten Hochschulen, wie der Universität Braunschweig und der Fachhochschule Dortmund, gelehrt. Neben Ihrer Lehrtätigkeit hat sie vielfältige Erfahrungen in der Industrie gesammelt, unter anderem als Software-Entwicklerin und Beraterin. Als Mitglied des Präsidiums der Gesellschaft für Informatik (GI) und in verschiedenen wissenschaftlichen Vereinigungen hat sie sich aktiv für die Weiterentwicklung der Informatik eingesetzt. Ihre Forschungsarbeit ist in einer Vielzahl von Publikationen dokumentiert und spiegelt Ihr Engagement in den Bereichen Requirements Engineering, Projektmanagement, Künstliche Intelligenz und mehr wider.

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